Warum Sie von artfremden Branchen lernen können

Dr. Maier, Facharzt für Innere Medizin, seit dreißig Jahren in eigener Praxis, will seine Tochter unterstützen: Für eine Abschlussarbeit braucht sie Ärzte, die einen Fragebogen ausfüllen. Gut gelaunt macht er sich am Wochenende daran, ihre Fragen zu beantworten:

„Schätzen Sie: Für wie erfahren halten Sie sich auf Ihrem Fachgebiet auf einer Skala von 1 bis 10?“ Mindestens eine 9, denkt Doktor Maier. „Wie viel Expertise bringen Sie in Ihren Arbeitsalltag?“ Sehr viel, kreuzt er an. Auch die letzte Frage beantwortet er mit einer 10: „Wie erfolgreich verlief Ihre medizinische Karriere bisher?“ Als Doktor Maier sich zurücklehnt und den Fragebogen absenden möchte, kommt er dann doch ins Grübeln: Ist er wirklich ehrlich gewesen? Sind seine Kompetenzen und Fähigkeiten wirklich so gut? Oder malt er sich die Realität schöner, als sie ist?

Die eierlegende Wollmilchsau          

In einem Gesundheitswesen, das sich zunehmend durch von mündigen Patienten geforderte Kommunikation charakterisieren lässt, müssen Ärzte mit den individuellen Bedürfnissen ihrer Patienten umgehen können, um sie zufrieden zu stellen. Empathie, Kommunikationsstärke, versierte, evidenzbasierte Fachkenntnis und betriebswirtschaftliche Fähigkeiten – insbesondere niedergelassene Ärzte werden zur eierlegenden Wollmilchsau deklariert.

Dass diese Ansprüche in den meisten Fällen nie vollständig erfüllt werden können, ist eine logische Konsequenz, die den behandelnden Ärzten bewusst sein sollte. Eigentlich. Denn wie unser Beispiel von Dr. Maier zeigt, liegt die Selbsteinschätzung der Kompetenz manchmal weit neben der tatsächlichen Qualifikation.

Wir erklären Ihnen heute, wie Sie Ihren eigenen Realitätscheck vornehmen und wo Sie überraschend viel Inspiration finden, um den hohen Ansprüchen in Ihrer Praxis gerecht zu werden.

Gefahr im Verzug     

Die eigenen Kompetenzen realistisch einschätzen zu können, das ist laut dem GMS Journal for Medical Education eine Schlüsselqualifikation für Mediziner. Je erfahrener man jedoch als Ärztin oder als Arzt ist (oder für je erfahrener man sich hält), desto schwerer wird es, offen für Neues zu bleiben.

Die eigene Wahrnehmung ist mit allerlei Risiken behaftet: Sie sehen Symptom A und denken an Diagnose F. Dieses Denken verhindert, neue oder auch alte Herausforderungen mit anderen Lösungswegen zu begegnen, die mittlerweile effektiver wären.

Die in drei Jahrzehnten gesammelte medizinische Erfahrung von Dr. Maier mag in gewissen Bereichen aktuell bleiben, hat aber in anderen Gebieten nichts mehr mit der realen Situation auf dem Gesundheitsmarkt zu tun. Heute brauchen wir anderes Fachwissen, andere Karrierewege, begegnen anderen Voraussetzungen, müssen innovative Untersuchungsmethoden und moderne Technik kennenlernen. Wer sich nur noch auf die eigene Erfahrung verlässt, begibt sich in Gefahr.

Der Tunnelblick

Der bekannte Tunnelblick tritt ein. Sie sehen nur noch dieselben Chancen und Risiken, stecken fest in Ihrem Erfahrungsgefängnis. Sie stehen sich selbst im Weg wenn Sie Neues entdecken und verstehen sollten.

Zum Beispiel klagen heute immer mehr Patienten über Stress, unsere neue Volkskrankheit: Sind Sie als Arzt denn vertraut mit den heutigen Arbeitsbedingungen Ihrer Patienten? Und wie vertraut sind Sie mit den aktuellen Bedürfnissen der heranwachsenden Generationen?

Wenn Sie sich nun nur noch auf die Erfolgsrezepte verlassen, die Sie sich vor Jahren in der Küche Ihres Erfahrungsgefängnisses gekocht haben, dann werden Sie bald nicht mehr zu den Sterneköchen gehören – sondern zur Imbissbude an der Ecke, die demnächst schließen kann.

Selbstwahrnehmung klar hinterfragen

Im Klartext: Perfekte Kompetenz ist nicht realistisch. Realistisch ist, die eigenen Kompetenzen einschätzen zu können, den eigenen Tunnelblick zu erkennen und etwas verändern zu wollen. Erstellen Sie Ihr individuelles Stärken- und Schwächen-Profil, kennen Sie Ihre Grenzen. So können Sie das Risiko von Fehleinschätzungen und Fast-Fehlern auf Kosten Ihrer Patienten oder auch auf Ihre eigenen Kosten nachweislich minimieren.

Nutzen Sie auch das Feedback von Patienten, Kollegen, Ihrem Praxisteam oder Freunden und Familie, um die Selbstwahrnehmung Ihrer Kompetenzen zu hinterfragen. Daraus können Sie anschließend Ihre Lernschritte ableiten.

Schätzen Sie sich doch beispielsweise einmal selbst in diesen Bereichen ein und holen sich Feedback ein:

  • Beziehung zu sensiblen/aggressiven/anspruchsvollen Patienten aufbauen und halten
  • Psychosozialen Stress identifizieren
  • Schwere Diagnosen einfühlsam kommunizieren
  • Befunde einschätzen und Maßnahmen ableiten
  • Organisatorische Abläufe überblicken und strukturieren
  • Mitarbeiterinnen finden, binden, fördern, fordern

Gegensätze machen erfinderisch  

Wie es dann weitergeht? Lassen Sie sich inspirieren. Die Standards und Anforderungen, die Ihnen das Gesundheitswesen stellt, können Sie in einen anderen Kontext einbetten; auf eine andere Branche übertragen; in anderen Fachrichtungen wiederfinden. Das Übertragen funktioniert, wenn Sie bereit sind, Konventionen zu hinterfragen.

Listen Sie Branchen gegeneinander auf, die potentiell voneinander lernen könnten. Suchen Sie dort nach Analogien, wo Sie auf den ersten Blick nicht zu entdecken sind. Das bedeutet: Orientieren Sie sich auch an Branchen, die weit genug von der Medizin entfernt sind, damit Sie nicht wieder in Ihrem Erfahrungsgefängnis landen. Schauen Sie sich doch einmal in der Gastronomie, im Bootsbau oder in der Filmindustrie um. Was können Sie dort für Ihre Praxis lernen?

Erfolg auf Rezept: So klappt es wirklich    

Die Erfolgsrezepte dieser Übung sprechen für sich.

Zum Beispiel ist VR, also die Virtuelle Realität, längst nicht mehr nur etwas für Gaming-Enthusiasten.

Heute nutzt das Gesundheitswesen erste VR-Anwendungen, um Studenten über Touchscreens sezieren zu lassen (Uniklinik Heidelberg) oder um Ärzte an virtuellen Patienten neue Behandlungsmethoden ausprobieren zu lassen. Sogar operative Eingriffe wie Transplantationen konnten so simuliert werden, damit Chirurgen sich entsprechend vorbereiten konnten. Das ist innovativ – das ist ein gelungener Ausbruch aus dem Erfahrungsgefängnis.

Auch der Erfolg von Dr. Susanne Nolof, Fachärztin für Innere Medizin und Rheumatologie aus Elmshorn, zeigt, was Offenheit für neue Möglichkeiten erreichen kann. Die Ärztin schuf Patenschaften zwischen Patienten mit einer schweren rheumatischen Erkrankung. So können Patienten, die trotz ihrer Erkrankung ihre Lebensqualität hochhalten, Erst-Patienten nach der Diagnose zur Seite stehen und ihnen Mut machen.

Ganz sicher hat auch Dr. Nolof über ihren Tellerrand geschaut.

Neue Wege gehen

Also bleiben Sie offen, lernbereit und bescheiden. Tauschen Sie sich mit Kollegen aus, besuchen Sie themenfremde Kongresse und Workshops, vernetzen Sie sich in den sozialen Netzwerken mit interessanten Persönlichkeiten, lesen Sie viel. Lernen Sie vom Überraschenden, vom Unbekannten. Oder profitieren einfach vom gesammelten Wissen aller DocSys™ Partner und verkürzen Sie Ihren Lernweg. Sie sparen sich Ihr Lehrgeld. Sie vermeiden große Zeitverluste dadurch, dass Sie erst einmal alles selbst erarbeiten und ausprobieren wollen.

Wer wenig verändert, verändert wenig. Wer immer dasselbe tut, wird immer dasselbe erhalten.

Seien Sie »open minded« – siehe JA Newsletter »Mit der Krise ins Paradies«

Ich wünsche Ihnen viel Erfolg.

Ihr Jan Ackermann